Von Wertschätzung und Lob im digitalen Berufsleben

Kaum ein Wort wird speziell seit der Zeiten der Pandemie gebraucht und missbraucht wie das Wort „Wertschätzung„. Man zeigt „Wertschätzung“ für die Arbeit von Menschen im Pflegedienst, in Krankenhäusern, man spricht „Wertschätzung“ aus, weil Mitarbeiter „flexibel“ auf neue Artbeitsbedingungen und Stresssituationen reagieren.

Auch in jedem Trainingskurs für Führungskräfte kommt das Thema unweigerlich vor. Doch was ist Wertschätzung eigentlich? Ist Wertschätzung gleich wie „Lob“ oder „Anerkennung“?

Starten wir mit einem Beispiel. Das Projekt ist abgeschlossen und der Chef kommt zum Team und gratuliert: „Herr Meier, das Projekt wurde erfolgreich abgeschlossen! Gute Arbeit!“

Ist diese ein Zeichen von Wertschätzung für den Mitarbeiter? Kaum. Eher ein anerkennendes Lob. Aber keine Wertschätzung.

Ein anderes (fiktives) Beispiel: „Herr Meier, der Kunde hat das Angebot nicht angenommen. Der Kunde wurde verloren. Dennoch fand ich bewundernswert, wie geduldig Sie beim letzten Telefonat zugehört haben. Sie sind sehr empathisch gewesen. Danke!“

Diese ist in der Tat ein Fall von Wertschätzung. Was unterscheidet die erste Situation von der Zweiten?

Wertschätzung zeichnet sich immer durch vier Komponenten.

Wertschätzung ist immer spezifisch. Sie richtet sich auf eine konkrete Person als Ganzes (ihre Art, ihre Wesenszüge) in einer konkreten spezifischen Handlung. Bei der Wertschätzung begegnen wir einem Menschen „wie er ist“. Das geduldige Zuhören und das Empathisch-Sein manifestieren sich in einer Handlung, sind aber keine „Leistung“ eines Menschen („was er macht“). Hingegen erkennt das Lob das Ergebnis der Handlung.

Oft wird eine Leistungsanerkennung als Wertschätzung missverstanden. Man spricht von einer „Gehalterhöhung“ als ein „Zeichen von Wertschätzung“ für einen Mitarbeiter, wobei diese eher die Anerkennung seiner Leistungsbeitrag im Unternehmen ist.

Konsequenterweise kann ein Lob auf ein Team gerichtet werden, Wertschätzung jedoch nur persönlich und individuell.

Wertschätzung setzt zwei weitere Elemente voraus. Wertschätzung ist immer eine emotionale Antwort. Wenn wir Wertschätzung zeigen, nehmen wir nicht nur das Ergebnis der Handlung eines Menschen wahr: wir erleben ihn mit seinen Gefühlen und drucken wir auch unsere Gefühl: wir freuen uns, bewundern, sind dankbar oder beeindruckt. Wertschätzung ist immer mit einem spezifischen Gefühl verbunden.

Schließlich verrät Wertschätzung immer etwas vom Absender. Nach Friedemann Schulz von Thun nennt man dies die ist dies die „Offenbarungsseite“ der Botschaft in der Kommunikation. Man kann Wertschätzung ausdrucken, nur indem man authentisch und ehrlich kommuniziert und damit etwas von sich, von dem eigenem Wertesystem und von den eigenen Emotionen preisgibt.

Man könnte meinen, dass -so definiert- kaum Wertschätzung im Berufs- und Alltagsleben trifft. Und in der Tat ist es auch so, dass reale Wertschätzung sehr selten in der Schule, Universitäten oder im Büro vorkommt.

Einerseits sind wir in der Familie und durch die Erziehung nicht gewohnt als „ganzheitliche“ Menschen mit Gefühlen und Wünschen wahrgenommen und anerkannt zu werden und andere so zu begegnen. Vielmehr werden wir sehr früh geprägt, dass nur bestimmte Gefühle bei uns und anderen gut und sozial akzeptabel sind. („sei ein braves Kind“). Andererseits werden wir in der Schule und am Arbeitsplatz nach anderen Kriterien ausgewählt und befördert: nach dem Prinzip des Wettbewerbs und der Leistung. Emotionale Reife- die Fähigkeit bewusst eigene Gefühle wahrzunehmen und die Gefühle von anderen wahrzunehmen – ist kein Schlüsselkriterium in der Realität für Lehrpläne, wie Personalentwicklungspläne.

Titelfoto von Artem Podrez von Pexels

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