In der Organisationspsychologie unterscheidet man zwischen zwei Arten von Veränderung: Veränderung als puntkuelles Ereignis im Unternehmen und Veränderung als kontinuerlicher und fest in der Unternehmensorganisation integrierter Prozess.
Im einem Fall ist Wandel die zeitlich befristete Reaktion auf Veränderungen in der Organisation oder in der Unternehmensumgebung (Markt, Politik, Gesetze und Rechtssprechung) und wird überwiegend zentral durch interne oder externe „Experten“ gesteuert.
Im anderen Fall ist Veränderung etwa Teil des „Alltagsroutine“: die Aufgabe auf die „neue“ Situationen zu reagieren ist tägliche Kompetenz aller Mitarbeiter wie auch die Gestaltung der Veränderung.
Wir können sagen: in einem Fall ist Veränderung der Sonderfall im Unternehmensleben, im anderen der Normalfall.
Eigentlich gibt es auch kein „richtiges“ oder „falsches“ Veränderungsmodell: Veränderung als einen „Spezialfall“ im Betrieb zu verstehen, hat den Vorteil, dass die Implementierung des Wandels schnell geschehen kann: wo eine schnellere Reaktion auf die mutierten Bedingungen gefragt ist, initiiert man sie von „oben“, und macht man sie zum „Fokus“ für die gesamte Organisation. Hingegen eine Veränderung als dezentral und „von unten“ gesteuerter Prozess erfordert sicherlich mehr Zeit und Aufwand, um sich erfolgreich zu etablieren. Auch das Umsetzungsergebnis fällt in der Gesamtorganisation weniger konsistent aus.
Auch andere Faktoren wie Organisationskultur, Veränderungsgeschwindigkeit in der Branche, Betriebshistorie können natürlich beeinflussen, welches Veränderungsmodell im Unternehmen tatsächlich zum Einsatz kommt: in einer sehr hierarchischen und bürokratischen Organisation wird vermutlich das „von oben“ bestimmte Modell der punktuellen Veränderung privilegiert, eher als die Veränderung als „dezentrale Aufgabe“ von jeden Mitarbeitern zu sehen.
Was hat dies eigentlich mit dem Thema Digitalisierung zu tun? Nun die Antwort ist: auch die digitale Transformation ist eine Art von Veränderung, die viele Organisationen (Betriebe, Schulen, Bildungsinstitutionen) durchlaufen müssen. Und das tuen sie, genau je nach dem Modell, das am besten zu der jeweiligen Organisation passt. Einige Organisationen gestalten „Digitalisierung“ als Prozess von „oben“: es werden Laptops angeschafft und verteilt, Lehrpläne verändert, IT-Plattformen angeschafft. Andere Organisationen fragen sich, wie Digitalisierung das Alltagsleben im Beruf beeinflussen wird und gestalten den Wandel mit den eigenen Mitarbeitern zusammen oder lassen den Grad der digitalen Anpassung den eigenen Mitarbeiter frei.
Eigentlich erfordert Digitalisierung für viele Organisationen eine „Schock“-Behandlung: soweit ist bei vielen (aber nicht alle, natürlich) Betrieben und öffentlichen traditionellen Bildungsorganisationen der „Gap“ zwischen „innen“ und „draußen“.
Mögen diese Veränderungen als „punktuelles“ oder „Alltagsaproblem“ in der Organisation gesehen werden, bringt Digitalisierung ist eine Veränderung, die einige Konsequenzen mit sich bringt, die auf dem ersten Blick verborgen bleiben. Denn Digitalisierung heißt nicht nur „Laptops für alle Schüler“ oder „Home Office 5 Tage die Woche“ oder „jetzt halten wir einfach das Meeting via MS Teams“…
Mit der Digitalisierung werden die Möglichkeiten der autonomen, selbstverantwortlichen Arbeitsgestaltung der Mitarbeiters größer und dynamischer als in der Vergangenheit. Jeder Mitarbeiter bekommt die Chance, selbst Aufgaben zu bestimmen, und zu gestalten, auf Daten und Informationen selbst schneller zuzugreifen. Dies wiederum erfordert, dass bestimmte Bedingungen in der Organisation erfüllt werden (Flexibilität der IT Infrastruktur, individuelle Anpassung), wie auch eine Kultur der Mitarbeiter -Transparenz, -Vernantwortungsübernahme und einige Kernkompetenzen (Umgang mit Daten, Datenanalyse, Datenschutzbewusstsein) entwickelt werden.
Das heißt, die Digitalisierung erfordert eben nicht nur die Anwendung von „digitalen Werkzeugen“. Sie erfordert die Stärkung einer Organisationsultur der stetigen Veränderungsbereitschaft und der individuellen Verantwortung der Mitarbeiter, wie bei dem zweiten Veränderungsmodell oben besprochen, wo jeder Mitarbeiter Teil des Wandels in der Organisation ist und ihn mitgestaltet. Für viele Organisationen ist es diesbezüglich „Zwanzig nach Zwölf“: die Wahrnehmung der eigenen Position am Markt und der Distanz zu den „Besten“ in der Branche ist sehr verschoben und die Dringlichkeit einer Neuorientierung oft heruntergespielt.
Die Digitalisierung erfordert:
⦁ die Neudefinition der Rolle/Kompetenz der Führungskräfte (Im Unternehmen und in Bildungsinstitutionen), die sich traditionell auf Kommunikation, Steuerung der Mitarbeiter und Wissensbeschaffung für das eigene Team konzentriert. Welche Kernaufgaben haben Führungskräfte in der „digitalen „Welt“, wenn die traditionellen Aufgaben wegfallen? Wo bringen sie einen Mehrwert für ihre Teams und die Organisation?
⦁ die Neudefinition der Rolle und Aufgaben des IT Managements als „Enabler“ der oben genannten individuell gesteuerten Arbeitsestaltung der Mitarbeiter. Zur Zeit ist die IT meist outgesorced und nur auf Reparatur und Wartung von Assets (Laptops und Netzwerken) fokussiert.
⦁ die Neudefinition der Rolle und Aufgabe der Mitarbeiter und der Fachspezialisten in der Organisation: aus der Digitalisierung und aus der Künstlichen Intelligenz wird kein neues „Wissen“ kreiert. Wissen wird in den Köpfen der Menschen erzeugt. Digitale Werkzeuge steigen jedoch enorm die Möglichkeiten der Wissensuche und Wissenverbreitung. Wie kommen Mitarbeiter mit den aktuellen Kompetenzen in der Datenanalyse, digitalen Kommunikation und Wissensmanagement (Wissenssuche und Wissensverteilung) mit Kollegen aus? Wie werden aktuell Fachspezialisten gefördert und geholfen „digital in der Organisation zu agieren“?
⦁ Die Rolle und Kompetenz der Geschäftsführung: die Digitalisierung erfordert wegen ihrer Skalierbarkeitseffekte eine „strategische Operativität“: jede operative Entscheidung hat Konsequenzen für die Zukunft, nicht nur fürs heute. Schaffen Geschäftsführer diese zwei Dimensionen gleichzeitig im Blick zu halten? Oder sind sie im besten Fall „einbeinige Spezialisten“?
Diese Veränderungen sind im gewissen Sinn Kern der Digitalisierung selbst: damit werden Wandel und Innovation weitgehend Teil der normalen Jobroutine, und etablieren sich auf allen Ebenen der Organisation als Normalität.
Gelingt dies aber problemlos in jeder Organisation?
Das bringt uns wiederum am Anfang. Viele Organisationen werden den digitalen Wandel verpassen, nicht weil sie weniger „digitalisiert“ sind. Die Digitalisierung wird sich nicht am Einsatz von digitalen Werkzeugen und Plattformen messen, sondern am Grad, wie eine Organisation Veränderung als Normalfall in den eigenen „Genen“ integrieren wird.
Zygmunt Bauman hat den Begriff der „liquiden“ oder auch „verflüssigten“ Gesellschaft eingeführt. Zu einem gewissen Punkt wird dieser Prozess auch Organisationen betreffen. Je mehr eine Organisation die Digitalisierung als eine punktuelle Herausforderung sieht, die man meistern muss, damit man danach wieder „Ruhe einkehrt“, wird diese Organisation die Transformation verkennen, und sich auf das „Digitalisieren“ von einzelnen Themen, Bereichen und Prozessen konzentrieren. Und letztlich als Organisation den digitalen Wandel nicht schaffen.
Digitalisierung ist keine Aufgabe für externe Berater, die eben „MS Teams ausrollen sollen“, oder für „digitalen Experten“, die neue Tools einführen. Die Herausforderung der Zukunft wird nicht sein, „analoges“ zu „digitalisieren“, sondern Veränderung als Kernteil des eigenen Organisations DNS zu akzeptieren und zu integrieren.